Rubrik Kultur auf dem Dreiecksplatz
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Zwangserkrankungen: Die Angst, die Kontrolle über das Ich zu verlieren …
Konstanz,, 10. September 2023
Dutzende Male die Hände waschen, Türen und Fenster schließen, #Elektrogeräte kontrollieren oder aus der beklemmenden Gedankenspirale durch Bilder im Kopf kaum entweichen zu können: Das Bild der #Zwangsstörung kann vielseitig sein. Entsprechend sind auch die Ursachen und Beweggründe, weshalb ein Betroffener die sogenannte »Zweifelskrankheit« entwickelt, unter der in #Deutschland zwischen 1 und 2 Millionen Menschen leiden. Und oftmals hängt sie mit einer Angst vor dem Kontrollverlust über das eigene Ich zusammen, meint zumindest der Leiter der Selbsthilfeinitiative zu #Zwangsstörungen, #Phobien und #Depressionen, Dennis Riehle (Konstanz). Der 38 Jährige erkrankte 1998 und kann auch heute noch nicht vom Waschbecken loslassen oder sich von quälenden Wiederholungen im eigenen #Gehirn lösen. »Allerdings haben sich meine Beschwerden durch umfangreiche Intervention um 60 bis 70 Prozent reduziert, sodass ich heute sagen kann, die Zwänge im Griff zu haben«. Diesem Zustand einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik gingen lange Phasen der Psychotherapie und psychiatrischen Betreuung zuvor, aber auch eine intensive Befassung mit der eigenen Persönlichkeit: »Dabei habe ich feststellen können, dass die Erkrankung immer dann besonders heftig ausgeprägt war, wenn ich durch äußere Belastungen und innere Zerrissenheit derart unter Druck und Stress gestanden bin, dass ich mich davor fürchtete, verrückt zu werden und nicht mehr Herr über die Dinge sein«, erinnert sich der Sozialberater an seine Auseinandersetzung mit den Wurzeln und Katalysatoren der Krankheit. »Und nachdem ich in knapp 20 Jahren Selbsthilfe mittlerweile rund 2.500 Betroffene und Angehörige beraten habe, weiß ich, dass dieses Gefühl bei anderen Erkrankten ebenso mitschwingt. Insofern ist es auch ein Ansatz in der Behandlung, die #Skepsis an unserer #Souveränität abzubauen und sich wieder mehr zu vertrauen«. Nicht selten seien Betroffene durch eine stark überhöhte Aufmerksamkeit derart mit Reizen überflutet, dass sie nicht einmal mehr sicher seien, was sie gesehen oder getan haben. »Und dann setzt das Infragestellen ein, was nicht zuletzt zum #Rückversichern führt«.
Damit sei die Grundlage für zwanghaftes Handeln und Denken gelegt. »Aus diesem Hamsterrad herauszukommen, das gelingt oftmals nur durch einen psychopharmakologischen Eingriff, der uns zur Ruhe bringt und uns zur Teilnahme an einer Psychotherapie befähigt. Erst jetzt kann die inhaltliche und analytische Auseinandersetzung beginnen, die einerseits mögliche Auslöser für das fehlende Selbstzurrauen und die Unsicherheit über die eigene Integrität, Person und Fähigkeiten identifiziert. Andererseits braucht es dann aber auch ein Konzept, wie dieser Missstand wieder behoben werden kann. Achtsamkeitstraining, Coaching und Körperarbeit sind neben kognitiven und verhaltenstherapeutischen Ansätzen, ergänzenden tiefenpsychologischen Gesprächen und Selbsthilfe nötig«, sagt Riehle, der als Berater ausgebildet ist und aus seiner Erfahrung als Betroffener weiß: »Auch eine kritische Reflexion der Systeme, in denen wir uns als Menschen befinden, gehört zu den etwaigen Angriffspunkten, über die man die Zwangsstörung erreichen kann. Denn nicht selten überfordern wir uns mit vielen Baustellen gleichzeitig, versuchen es allen Seiten recht zu machen und vergessen dabei die Eigenverantwortung. Denn Menschen mit einer Zweifelskrankheit sind oftmals extrem hilfsbereit und aufopfernd gegenüber Familie und Freunden, wollen am Arbeitsplatz Höchstleistungen erbringen und muten sich in ihrem Perfektionismus allzu viel zu. Ursächlich ist dafür der Wunsch nach Aufmerksamkeit und Anerkennung, denn ein gewisser Narzissmus ist bei vielen Erkrankten sicherlich nicht zu verneinen. Hinter diesem findet sich oft ein geringer Selbstwert – und daran gilt es etwas zu ändern«, meint Riehle, der abschließend anfügt: »Die Beschäftigung mit Zwängen dauert Monate und Jahre. An meinem Beispiel zeigt sich aber, dass sie dann auch gelingen kann und ein Leben im Einklang mit den Überresten der Krankheit gut möglich ist. Vielleicht hilft ein wenig Gelassenheit und ein Dasein im Hier und Jetzt auf diesem Weg. Ebenso kann das Antrainieren einer psychischen Widerstandskraft nicht schaden. Insgesamt verbieten sich aber allgemeine Ratschläge. Das individuelle Konzept zur Überwindung des Zwangs kann anders aussehen«.
Die Psychosoziale Mailberatung der Selbsthilfeinitiative ist bundesweit kostenlos #online erreichbar.