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Wissenschaftler zeigen, dass Nervenzellen im Fruchtfliegengehirn »multiplizieren«, indem sie durch den Kehrwert »dividieren«. Grafik: Kuhl, MPI für biologische Intelligenz,in Gründung, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber
Das kleine #Einmaleins der Nervenzelle
Nervenzellen führen unentwegt komplizierte Berechnungen durch – eine Voraussetzung dafür, dass wir zum Beispiel ein Geräusch im Raum lokalisieren oder die Richtung einer Bewegung abschätzen können. Dazu müssen einzelne Zellen zwei Signale multiplizieren. Wie solch ein Rechenprozess konkret abläuft, war jahrzehntelang ein Rätsel. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz, in Gründung, hat in der Fruchtfliege die biophysikalische Grundlage entschlüsselt, die es einem Nervenzelltyp ermöglicht zwei Eingangssignale miteinander zu multiplizieren. Dies gibt neue Einblicke in die »#Rechenleistung« einzelner #Nervenzellen, die unzähligen Vorgängen im Gehirn zugrunde liegt.
Wir erkennen problemlos Objekte und die Richtung, in die sie sich bewegen. Diese Information berechnet das Gehirn aus lokalen Änderungen der Lichtintensität auf der Netzhaut unseres Auges. Die zugrundeliegenden Berechnungen laufen auf Ebene einzelner Nervenzellen ab. Doch was bedeutet es, wenn Nervenzellen rechnen? In einem Netzwerk aus verbundenen Nervenzellen muss jede Zelle aus allen Eingangssignalen ein Ausgangssignal berechnen. Dabei gibt es Eingänge, die das Ausgangssignal steigern und solche, die es vermindern – Neurobiologen sprechen von Exzitation und Inhibition.
Modelle nehmen an, dass das Bewegungssehen die Multiplikation zweier Signale erfordert; wie genau solche Rechenoperationen auf Nervenzellebene durchgeführt werden, war bislang jedoch unbekannt. Ein Team aus der Abteilung von Alexander Borst vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz, konnte dieses Rätsel nun an einem bestimmten Nervenzelltyp lüften.
Dazu konzentrierten sich die Wissenschaftler auf sogenannte »T4 Zellen« im visuellen System der Fruchtfliege. Diese Nervenzellen reagieren ausschließlich auf Bewegung in eine bestimmte Richtung. Den beiden Erstautoren Jonatan Malis und Lukas Groschner gelang es erstmals, sowohl die Eingangs- als auch die Ausgangssignale von T4 Zellen zu messen. Dazu verwendeten die Neurobiologen kleinste Elektroden, mit deren Hilfe sie die elektrische Aktivität im Fliegenhirn aufzeichneten, während sie den Fliegen auf einer Miniaturleinwand visuelle Reize vorspielten. Da T4 Zellen zu den kleinsten Nervenzellen überhaupt zählen, waren die erfolgreichen Messungen ein methodischer Meilenstein.
Zusammen mit Computersimulationen zeigten die Messungen, dass T4 Zellen in ihrer Aktivität ständig inhibiert, also gehemmt werden. Nur wenn sich der visuelle Reiz in eine bestimmte Richtung bewegt, wird die Hemmung kurzzeitig unterbrochen. Innerhalb dieses Zeitfensters wird ein ankommendes, erregendes Signal verstärkt: Mathematisch betrachtet kommt die ständige Inhibierung einer Division gleich; wird sie vermindert, entspricht das einer Multiplikation.
»Wir haben eine einfache Erklärung für eine komplexe Berechnung in einer einzelnen Nervenzelle gefunden«, erklärt Lukas Groschner. »Die Umkehroperation der Division ist die Multiplikation. Nervenzellen scheinen sich diese Beziehung zunutze zu machen«, fügt Jonatan Malis hinzu.
Die Fähigkeit der T4 Zellen zu multiplizieren ist auf ein bestimmtes Rezeptormolekül auf ihrer Oberfläche zurückzuführen. »Tiere, denen dieser Rezeptor fehlt, nehmen Bewegungen falsch wahr und können in Verhaltensexperimenten ihren Kurs nicht halten«, erklärt Co Autorin Birte Zuidinga, die das Navigationsverhalten von Fruchtfliegen in einer virtuellen Realität analysierte. Das veranschaulicht, wie wichtig diese Art der Berechnung für das Verhalten der Tiere ist.
»In der Vergangenheit war unser Verständnis der grundlegenden Algebra von Nervenzellen sehr lückenhaft«, sagt Alexander Borst. »Das vergleichsweise einfache Gehirn der Fruchtfliege hat uns jedoch ermöglicht, Einblicke in ein bisher scheinbar unlösbares Rätsel zu erlangen« Die Wissenschaftler vermuten, dass ähnliche neuronale Berechnungen zum Beispiel dem Richtungshören, dem Fokussieren der Aufmerksamkeit und unserem Orientierungsvermögen zugrunde liegen.
Kommentar von Gütsel
Man sollte nicht den Begriff »Berechnung« verwenden. In der Natur finden solche Dinge einfach statt. Sozusagen »analog«. Ein Paradebeispiel sind Mehrkörperdynamiken. Die Mathematik ist nicht in der Lage, so etwas exakt zu berechnen (»Dreikörperproblem«). In der Natur finden solche Dynamiken einfach statt. Da wird aber nichts »berechnet«. Es findet einfach statt.
Quelle: Max Planck Institut für biologische Intelligenz, in Gründung