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»Kein Masterplan, aber eine gemeinsame Ideologie«, Hochschule MünchenZoom Button

Vier Bände und mehr als 1.300 Seiten Forschungsbeiträge: HM Professor Karl R. Kegler forscht in diesem Rahmen zu Gewalt und Architektur im Nationalsozialismus. Foto: Alexander Ratzing, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber

»Kein Masterplan, aber eine gemeinsame Ideologie«, Hochschule München

»Kein Masterplan, aber eine gemeinsame Ideologie«, Hochschule München

  • Raumplanung für Osteuropa im Nationalsozialismus: HM Professor und Architekturhistoriker Karl R. Kegler erforscht in einem gemeinsamen Projekt mit der Zürcher Zeithistorikerin Alexa Stiller, wie deutsche Planer sich die »Besiedlung« Osteuropas vorstellten.

München, 29. Juni 2023

Räumliche Expansion war ein zentrales Ziel der Gewaltherrschaft des #Nationalsozialismus, die auch die Aneignung von »Lebensraum im Osten« betrieb. Welche Ziele verfolgten die beteiligten Planer und Architekten? Wie hingen dabei Raumplanung und »Eindeutschung« mit dem Massenmord an der jüdischen Bevölkerung zusammen? Prof. Karl R. Kegler von der Fakultät für Architektur publizierte dazu mit der Zeithistorikerin Dr. Alexa Stiller von der Universität Zürich einen Beitrag im gerade veröffentlichten, 4 bändigen Forschungsüberblick »Planen und Bauen im Nationalsozialismus«. In 4 Teilbänden mit mehr als 1.300 Seiten arbeitet das Bundesministerium für #Wohnen, #Stadtentwicklung und #Bauwesen darin die eigene Vorgeschichte auf. 

Kein Masterplan, sondern widersprüchliche Gutachten

Das Autorenteam untersuchte die Planungsprozesse mit Blick auf Protagonisten und institutionelle Settings und zog dafür auch Karten als Quellen heran. Kegler erforschte schwerpunktmäßig die so genannten »eingegliederten Ostgebiete« und das Fallbeispiel Oberschlesien, Alexa Stiller den Zusammenhang zwischen raum und siedlungsplanerischen Konzepten und der Massengewalt in den übrigen Teilen Polens und den besetzten sowjetischen Gebieten.

Ihre These formuliert eine neue Akzentsetzung gegenüber der älteren Forschung. »Wenn man die Planungsprozesse beobachtet, gab es nicht einen einzigen »Generalplan Ost«, sondern eine Reihe von zum Teil widersprüchlichen Gutachten«, so das zentrale Ergebnis von Stiller. »Es gab keinen Masterplan, aber Verfahrensweisen und Mechanismen, die eine Gemeinsamkeit hatten: Sie standen fest auf der Basis der Ideologie des Nationalsozialismus«, sagt Kegler.

Fachverständnis und Planungsgrundlagen der NS Raumplanung

Die Raumplanung dieser Jahre verstand sich als moderne Querschnittsdisziplin, welche die wesentlichen Lebensbereiche der Nation (»Lebenskraft«, »Wehrkraft«, »Wirtschaftskraft«, »kulturelle Höhe«) in Beziehung setzte: »Es gab die Entschlossenheit einer jungen Generation von Planern, für diese Ideologie das Maximum herauszuholen«, sagt Kegler. Neben Stadtplanern und Architekten, die im Kontext der Ostexpansion Musterdörfer, Städte und Regionen planten, gehörten auch Planer aus den Bereichen #Geografie, #Soziologie, #Volkswirtschaft sowie der Agrarwissenschaft zu den Raumplaner.

Sozialplanung: Chancenverteilung nach rassistischen Grundsätzen

Eine Maßgabe für die Sozialplanung war beispielsweise die Siedlungsdichte, die entsprechend derjenigen in Deutschland, auch für die »eingegliederten Gebiete« angestrebt wurde. 70 bis 80 Menschen je Quadratkilometer sollte nicht unterschritten werden. Nur bei einem solchen Durchschnittsansatz wurde gemäß der rassistischen Maxime mit der Entfaltung des »notwendigen kulturellen Lebens und der Beseitigung der Unterwanderungsgefahr« gerechnet: »Dieser Richtwert war nicht empirisch unterlegt, sondern aus diffusen bevölkerungspolitischen Setzungen hergeleitet, die im Fachdiskurs aber tief verankert waren«, sagt Kegler.

Zentralisierung der Raumplanung

Die strukturellen Voraussetzungen der Raumplanung ergaben sich ab 1936 durch ein System von Planungsbehörden im gesamten Deutschen Reich. Nach Beginn des Krieges gewann in den annektierten Gebieten SS Führer Heinrich Himmler als »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« (RKF) eine beherrschende Stellung. Keglers Einschätzung: »Es ging um eine Chancenverteilung nach rassistischen Kriterien und die verbrecherische Idee einer ethnischen Säuberung, welche die Planer durch ihre fachliche Arbeit rechtfertigten. Große Pläne für die von NS Deutschland beherrschten Gebiete entstanden in kurzer Zeit. Junge Planungsexperten, die überzeugte Nationalsozialisten waren, konnten mit ihrem Wissen schnell ganz nach oben kommen«. Der RKF Apparat siedelte über 400.000 »Volksdeutsche« während des Krieges in den »eingegliederten Ostgebieten« an. Im Gegenzug vertrieb er von dort circa 1,4 Millionen polnische und jüdische Einheimische, so die Ergebnisse von Stiller.

Der Rahmen demokratischer Institutionen

Nach Ende der nationalsozialistischen #Gewaltherrschaft gab es personelle Kontinuitäten. Experten wie Gerhard Ziegler, der in NS Deutschland für Oberschlesien plante, konnten durch ihr wissenschaftliches Netzwerk auch in der Bundesrepublik an ihre Karrieren anknüpfen. Doch Expertenwillkür war in Institutionen demokratischer Prägung nicht mehr möglich. Die Organisation der Raumplanung wurde auf die Länderebene verlagert, eine oberste Bundesbehörde gibt es aufgrund der Erfahrungen in der Diktatur nicht. Die früheren NS Experten stellten nach dem Krieg ihre Tätigkeit für den NS Staat als unpolitische Sacharbeit dar. »Dieser Versuch einer Selbstentlastung muss ganz klar in Frage gestellt werden. Raumplaner entwarfen im NS Staat eine rassistische Einteilung von Menschen als mögliche, wünschenswerte und vermeintlich besonders effiziente Ordnung. Sie waren daher mitverantwortlich für die Verbrechen«, so Keglers Resümee.

Das Forschungsprojekt mit der Laufzeit von 2019 bis 2023 wurde gefördert mit Bundesmitteln des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) durch das Bundesinstitut für Bauforschung, Stadtforschung und Raumforschung (BBSR). Eine Ausstellung der Unabhängigen Historikerkommission (UHK) mit dem Titel »Macht Raum Gewalt« macht die Ergebnisse des landesweiten Projekts in Berlin dem interessierten Publikum zugänglich.

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