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Wer genauer hinschaut sieht: Sie ist nicht irgendeine, sondern »@die.tischlerin«. Auf Instagram teilt Isabelle Vivianne mit ihren mehr als 4.000 Abonnenten, was sie als Holzhandwerkerin und Designwerkerin erlebt. Foto: » die.tischlerin«, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber
»Seid gespannt, Leute!«, ruft »@die.tischlerin« ihrer Community auf Instagram zu. Neben dem »youthcrafts.festival« und der Webserie »:in« plant Isabelle Vivianne weitere Aktionen auf Social Media.
Schubladen gehören zu ihrem Beruf. Aber Isabelle Vivianne lässt sich ungern in selbige stecken. Auf ihrem Instagram-Account @die.tischlerin zeigt sich die 24-Jährige in abgelatschten Arbeitsschuhen und in schicken Pumps. An einem Tag ist sie toughe Geschäftsfrau, am nächsten das verpeilte Girl der »Generation Z«. Mal postet sie aus Hamburg, dann wieder aus Berlin. Dass Isabelle Vivianne sich weder menschlich noch örtlich festlegen lassen möchte, zeigt schon ihr Hashtag: #seibeides.
DHB: Du bist vor anderthalb Jahren nach Berlin gezogen, postest aber immer noch viel aus Hamburg. Wo erreiche ich dich denn gerade?
Isabelle: In Berlin. Ich bin total viel in beiden Städten unterwegs.
DHB: Wie kommt das?
Isabelle: Ich habe zu beiden Städten eine starke Bindung. In Hamburg bin ich aufgewachsen und habe dort meine Ausbildung zur Tischlerin angefangen. Seitdem ich 15 Jahre alt bin, ruft mich aber schon Berlin. Mein Plan war, dass ich nach der Ausbildung für einige Zeit dort wohnen wollte. Als ich meine Ausbildung abbrechen musste, habe ich diesen Schritt dann vorgezogen. Den praktischen Teil habe ich in einem Betrieb in Berlin gemacht. Die Theorie hat mir die Berufsschule in Hamburg vermittelt. Im Februar 2020 konnte ich die Ausbildung erfolgreich abschließen. Inzwischen habe ich einen eigenen Werkstattplatz in Berlin, wo ich mich als Designwerkerin frei ausleben kann.
DHB: In deinen Posts bei Instagram spürt man, dass du als Auszubildende in Hamburg sehr unglücklich warst. Woran hat das gelegen?
Isabelle: Ich hatte Pech mit meinem Meister. Der war menschlich noch vom alten, harten Schlag. Während der Ausbildung habe ich viel gelitten und wenig gelernt. Einmal wurde mir etwa bei der Arbeit an der Kreissäge einfach das Licht ausgemacht. Irgendwann hat mich die Angst einfach blockiert. Außerdem hätte er mich nicht mein Gesellenstück bauen lassen. Das ging gar nicht. Für einen Tischler-Azubi ist das Gesellenstück das Allerwichtigste.
DHB: Bei einem deiner aktuellen Projekte, für die du auf Instagram wirbst, geht es genau darum. Was hat es mit dem »youthcrafts.festival« auf sich?
Isabelle: Corona-bedingt sind die Ausstellungen der Gesellenstücke ausgefallen oder waren ganz schlimm organisiert. Also habe ich das »youthcrafts.festival« als digitale Alternative ins Leben gerufen, bei dem mich einige Influencerinnen und Influencer aus dem Handwerk unterstützen. Alle Gesellinnen und Gesellen aus dem Tischler- sowie dem Maler- und Lackiererhandwerk, die ihre Ausbildung im Sommer 2020 und im Winter 2020/2021 beendet haben, können uns Videos ihrer Abschlussarbeiten schicken. Auch die Betriebe, in denen die Gesellenstücke gebaut worden sind, können sich bewerben. Ab Mai laden wir das Material dann bei Instagram und auf Youtube hoch. Natürlich haben wir einige Sponsoren dabei, so dass die besten Gesellenstücke sogar richtig geile Preise gewinnen können.
DHB: Was willst du mit dem Projekt bewirken?
Isabelle: Vor allem will ich den Gesellen und ihren Abschlussarbeiten den Respekt verschaffen, den sie verdienen. An zweiter Stelle ist es eine Nachwuchskampagne, die sich an alle richtet, die Spaß am Handwerk haben könnten. Damit wollen wir das Handwerk verjüngen.
DHB: Neben dem »youthcrafts.festival« brennst du für eine Webserie, die Annika Prigge initiiert hat. Magst du zwei, drei Sätze dazu sagen?
Isabelle: In »:in« werden in mehreren Teilen starke Frauen in männerdominierten Berufen porträtiert. Eine davon bin ich. Die Webserie wird am 15. April auf Youtube gelauncht. Sie soll in den Schulen und am 22. April auch beim Girls‘- und Boys’ Day gezeigt werden.
DHB: Wie ist Annika auf dich gekommen?
Isabelle: Über Instagram.
Auf Instagram postet Isabelle Vivianne unter @die.tischlerin ihre Beiträge. Berichte über die Ausstellung von Gesellenstücken sind unter @youthcrafts.festival zu finden. Über die Teilnahme von Isabelle Vivianne aka @die.tischlerin an der Webserie »:in« gibt es Informationen bei Instagram. Die Folgen der Webserie »:in« werden bei Youtube zu sehen sein.
DHB: Welche Rolle spielen die sozialen Medien, um solche Projekte ins Laufen zu bringen und mit einer möglichst großen Community zu teilen?
Isabelle: Eine super-wichtige. Kanäle wie Instagram, Tiktok oder Youtube sind elementar, um meine Generation zu erreichen.
DHB: Weitest du deinen Aktionsradius deshalb auch auf Tiktok und Youtube aus?
Isabelle: So ist es. Mein Publikum bei Instagram ist relativ alt. Die Jüngeren sind nun mal auf Tiktok. Da muss man sich nicht in die Tasche lügen.
DHB: Reichen dir denn kurze Videos für deine Statements aus?
Isabelle: Das teste ich gerade und versuche einen Weg zu finden, wie ich Tiktok, aber auch Youtube am besten nutzen kann.
DHB: Das Coole an diesen Plattformen ist aus meiner Sicht, dass man vieles einfach ausprobieren kann. Wie siehst du das?
Isabelle: Ich liebe Social Media. Ich teste auch unfassbar gerne viel aus. Aber ich sehe auch die Schattenseiten. Mir leuchtet zum Beispiel bis heute nicht ein, warum sich Frauen in ihren Posts ausziehen müssen. Ich möchte eine Anlaufstelle für alle anderen sein und zeigen, dass man eine schöne, starke Frau sein kann, ohne sich halbnackt zu präsentieren.
DHB: Im übertragenen Sinne hast du dich Ende 2020 aber auch nackt gemacht. In diesen drei Posts auf Instagram lässt du dich darüber aus, dass das Handwerk mehr Wertschätzung verdient, welche Rolle die Frauen im Handwerk spielen und dass du während deiner Ausbildung massiv Gewicht verloren hast. Haben dich die positiven Kommentare im Feed auf diesen »Seelen-Striptease« überrascht?
Isabelle: Ich habe mich über das positive Feedback sehr gefreut. Es hat mir gezeigt, wie wichtig der Begriff »Social« in Social Media ist. Man muss auch Themen ansprechen, die persönlich vielleicht nicht so schön, aber relevant sind.
DHB: Das macht dich aber auch angreifbar …
Isabelle: Was ich schreibe, ist meine Sicht der Dinge. Dabei pauschalisiere ich nicht, sondern spreche über meine eigenen Erfahrungen. Meine Posts verfasse ich nicht aus einem Affekt heraus. Ich überlege lange, was ich thematisiere und wie ich es thematisiere. Es ist mir wichtig, dass ich den Leuten etwas mitgebe. Einige haben meine Worte getröstet. Andere haben darin eine Anregung gefunden, obwohl sie vielleicht anderer Meinung sind, oder können gar nichts damit anfangen und entfolgen mir. Unterm Strich war es offensichtlich die richtige Entscheidung, die Posts hochzuladen.
DHB: Einige deiner Beiträge sind für Social-Media-Verhältnisse recht lang. Das ist wohl auch einem deiner Follower aus dem Ausland aufgefallen. Er schreibt »You write many words!« Lohnt sich der Aufwand für ein schnelllebiges Medium wie Instagram?
Isabelle: Voll, denn meine Abonnenten sind anders. Längere und tiefgründigere Texte kommen besser bei ihnen an. Sie kriegen viel mehr »Likes« oder werden sogar gespeichert. Es heißt ja manchmal, dass die maximale Aufnahmezeit pro Post zwei Sekunden beträgt. Selbst wenn es so ist, muss es ja nicht zwangsweise so bleiben. Wenn man einen Text so gut schreibt, dass man nicht aufhören kann, ihn zu lesen, investiert die Community auch mehr Zeit.
DHB: Du hast also noch keine negativen Erfahrungen gemacht?
Isabelle: Nein. Ich bin seit knapp anderthalb Jahren auf Instagram. In dieser Zeit bin ich noch nie beleidigt worden, habe kein Dick-Pic und keine sexuelle Nachricht bekommen. Die heftigste Äußerung war bislang, dass einer meine Lippen geil findet. Letztens musste ich sogar richtig lachen. Auf einem Bild in meiner Story ist dadurch mein Oberteil ein bisschen verrutscht. Ein Abonnent hat geschrieben »Oh, oh, pass auf, dass du nicht zu viel zeigst!« Meine Community ist so lieb. Ich schreibe gefühlt mit jedem von ihnen. Manchmal beantworte ich ihre Nachrichten schneller als die von meiner Mutter.
DHB: Als Hashtag hast du #seibeides gewählt. Warum?
Isabelle: Ich habe mich lange Zeit unglaublich schlecht gefühlt. Ich dachte, dass ich mich festlegen und immer in eine bestimmte Schublade passen muss. Aber gar nichts muss ich! Ich kann beides sein: Hamburgerin und Berlinerin, Handwerkerin und feine Lady, ernst und albern und noch so vieles mehr. Unsere Gesellschaft krankt an diesem Schubladendenken. Das macht natürlich alles so viel einfacher. Aber ich denke, dass vielen nur die Muße fehlt, sich intensiver mit sich selbst auseinanderzusetzen und ihre ganze Diversität zu erkennen.
DHB: Willst du dieses »Ich kann alles sein, was ich will« auch den jungen Frauen mitgeben, die sich für eine Ausbildung im Handwerk interessieren?
Isabelle: Auch, denn keiner ist dazu berechtigt, ihnen den Weg zu versperren oder Angst zu machen. Wir sollten aber generell aufhören, so stark zwischen Frau und Mann zu unterscheiden. Natürlich gibt es Unterschiede, aber diese sollten im zweiten Schritt die Gleichberechtigung bereichern. Heißt, es geht mir in erster Linie um Gleichberechtigung.
DHB: Hast du weitere Ziele, die du mit deinem Engagement auf Social Media verfolgst?
Isabelle: Ich möchte dazu beitragen, dass das Tischlerhandwerk und das Handwerk allgemein mehr Prestige in dieser Welt bekommen und für Leute attraktiver wird, die sich noch nie mit dem Handwerk beschäftigt haben. Instagram bietet mir die Möglichkeit, über die Handwerks-Bubble hinauszugehen und anderen zu zeigen, wie ich lebe und wie ich arbeite.
DHB: Wenn ich mir die Kommentare unter deinen Beiträgen anschaue, reagieren aber fast nur Handwerker darauf. Damit schwebst du ja doch nur in der Bubble …
Isabelle: Nein. Viele kommentieren die Posts nicht öffentlich, sondern schreiben mir privat eine Direktnachricht. Mega viele Girls sprechen mich an und sagen »Hey, du inspirierst mich dazu, eine Ausbildung im Handwerk zu machen«. Es gibt aber auch Männer, die sich melden. Ein 35-Jähriger hat sich wohl schon lange meine Beiträge angeschaut und geschrieben: »Du hast mich so krass motiviert, dass ich eine Umschulung zum Tischler mache.«
DHB: Der Austausch mit deinen Followern scheint dir sehr wichtig zu sein. Im November 2020 bist du bei Instagram zum ersten Mal mit einem Stream live gegangen. Was hat dich dazu bewegt?
Isabelle: Ich wollte noch mehr mit meiner Community zusammen sein. Jeder soll etwas sagen können. Jeder soll gehört werden. @die.tischlerin ist nicht nur mein Account. Das ist unser aller Account. Ich bin halt nur diejenige mit den Zugangsdaten.
DHB: Wie viele deiner Follower haben daran teilgenommen?
Isabelle: Die Zahl meiner Abonnenten ist mit rund 4.000 Leute eher gering. Von denen waren aber 400 im Stream. Ich habe gehört, dass sich einige extra einen Timer gestellt haben, damit sie um Punkt 18 Uhr dabei sind. Nach einer Stunde musste ich offline gehen, weil der Stream auf eine Stunde begrenzt ist. Wir wollten aber weitermachen. Also bin ich wieder online gegangen – und habe keinen einzigen verloren. Jeder wollte noch eine Stunde in die Verlängerung gehen. Das war mega-krass! Deshalb will ich mit den Live-Streams unbedingt weitermachen.
DHB: Mancher Lehrer scheitert ja schon daran, 20 Jugendliche zu bändigen. Wie managest du einen Live-Steam mit 400 Teilnehmern, von denen sich die meisten bestimmt einbringen wollen?
Isabelle: Wie ich halt so bin – immer ein bisschen verpeilt. Irgendwann merke ich, dass da ganz viele Kommentare gekommen sind. Die werden aber relativ durchgehend und konstant beantwortet. Nach so einem Live-Stream bin ich auf jeden Fall k.o. und kann mit keinem mehr reden. Aber: Totally worth it!
DHB: Ab und an machst du auf Produkte aufmerksam, mit denen du arbeitest oder die dir gefallen. Einer deiner Abonnenten meinte daraufhin, dass du jetzt auch noch zur Werbeagentur wirst. Hast du Angst, durch Werbung an Glaubwürdigkeit zu verlieren?
Isabelle: Ne, ich mache nur Werbeverträge mit Leuten, hinter deren Produkte ich stehe und die ich eh schon seit Ewigkeiten verwende. Manchmal kriege ich natürlich auch Anfragen von Firmen, die mich nicht überzeugen. Die lehne ich dann halt ab. Ich würde meinen Abonnenten niemals irgendeinen vorgekauten Scheiß vorsetzen. Ich mach Verträge mit Produkten, die ich sowieso mag – muss ja der Hersteller nicht wissen. I’m just rude, you know.
DHB: Du nimmst dir viel Zeit für deine Texte, machst Fotos und Videos, moderierst Live-Streams, organisierst einen Stammtisch, gibst Designtipps für Handwerker im »Sonntagsmaterial« und engagierst dich in Projekten wie »youthcrafts.festival« oder »:in"«. Man könnte meinen, dass du nur noch für Social Media arbeitest …
Isabelle: Ich stehe tatsächlich gerade an einem Wendepunkt. Ich möchte durch meine Erfahrungen nicht mehr in ein Angestelltenverhältnis. Ich ziele darauf ab, meine Ideen und Konzepte umsetzen zu können. Ich liebe die Community, und sie regt mich immer sehr zu neuen Ideen an. Daher arbeite ich derzeit sehr stark daran, mich voll auf das Tischlern für die Öffentlichkeit zu fokussieren.
DHB: Ist das der Grund dafür, weshalb du deine Fühler nun bei Tiktok und Youtube ausstreckst?
Isabelle: So ist es. Ich möchte mich medial breiter aufstellen. Es gibt aber noch ein paar andere Sachen.
DHB: Was denn?
Isabelle: Das kann ich noch nicht verraten. Seid gespannt, Leute! Dieses Jahr wird sehr viel bei mir passieren. Es lohnt sich auf jeden Fall, @die.tischlerin zu abonnieren.
DHB: Kommen wir zur letzten Frage: Mit welcher Influencerin aus dem Handwerk sollte ich als Nächstes sprechen?
Isabelle: Ich finde drei sehr spannend. Da ist zum einen Eva-Maria Keilbach. Sie postet ihre Beiträge unter @emkunst auf Instagram. Eva-Maria ist richtig krass. Sie führt einen Fensterbaubetrieb, sie ist Mutter und setzt sich mega auf Social Media ein. Crazy, wie sie das alles unter einen Hut kriegt!
Steckbrief
Name Isabelle Vivianne
Alter 24
Abschluss Abitur, Gesellin
Betrieb selbstständig
Gewerk Designwerkerin mit Tischlerausbildung
Ort Hamburg und Berlin
Text: Bernd Lorenz, handwerksblatt.de