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»Böckstiegel – das frühe Werk. 1910 bis 1913«Zoom Button

Im großen Ausstellungsraum versammeln sich einige der Hauptwerke der frühen Schaffensjahre Böckstiegels zwischen 1910 und 1912, darunter das »Erntefeld« von 1912 (Sammlung Bunte) auf freistehendem Sockel, das farbmächtige Ölbild »Rote Erde« und das frisch restaurierte Bild »Lindenallee« (beide 1911, Privatbesitz), das kleinformatige Bild »Kopfweiden am Bach« von 1911 (Privatbesitz) sowie die erste Darstellung des »Elternhaus im Winter« von 1910 (Peter-August-Böckstiegel-Stiftung, Werther). Foto: Ingo Bustorf, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber

»Böckstiegel – das frühe Werk. 1910 bis 1913«

Am 11. Juli 2021 eröffnet die Ausstellung »Böckstiegel – das frühe Werk. 1910 bis 1913« im Museum Peter August Böckstiegel mit rund 70 Arbeiten aus der frühen Schaffensperiode des westfälischen Expressionisten Peter August Böckstiegel (1889bis 1951). Sie wirft damit erstmalig einen konzentrierten Blick auf die Zeit, in der auch die »Leineweberstadt« Bielefeld mit ihrem beginnenden Kulturleben, aber auch die Begegnung mit der Kunst der europäischen Avantgarde für den jungen Künstler Böckstiegel eine zunehmend wichtige Rolle spielten. Das frühe Werk von 1910 bis 1913 ist ein bedeutender Teil seines Schaffens und zugleich der Kunst der Moderne in Westfalen allgemein. Mit dem 1937 geschaffenen »Steinborn-Relief« und den in Vorbereitung dieses Werkes entstandenen Aquarellen, Zeichnungen und Grafiken zeigt die Ausstellung zudem ein späteres, bildhauerisches Hauptwerk des Künstlers, dessen Motive bereits in den frühen Jahren angelegt worden sind.

Erste Schritte als Künstler

Böckstiegels Frühwerk ist noch nie als eigene Phase in seinem Schaffen gewürdigt worden. In den Jahren von 1910 bis 1913 entwickelt der Künstler seine eigene Formen- und vor allem Farbsprache an der neu gegründeten Bielefelder Kunsthandwerkerschule. David Riedel, Museumsleiter und Kurator der Ausstellung: »Man kann dem knapp über 20-Jährigen gewissermaßen beim ›Künstlerwerden‹ zusehen, erkennen, an wem er sich schult und dass er von Anfang an seine Fühler weit über seine westfälische Heimat hinausstreckt.« Zu den frühesten Werken der Ausstellung gehören etwa ein Porträtkopf mit dem Titel »Junger Mann«, in Öl und Kohle auf Leinwand ausgeführt (um 1910), bei dem noch der Einfluss seines ersten Lehrers Ludwig Godewols deutlich erkennbar ist, oder die großformatige Darstellung eines »Bauernjungen“«, ebenfalls aus dem Jahr 1910, in der die Bildsprache bereits viel moderner ist. Aus den ganz frühen Jahren der künstlerischen Ausbildung, von 1907 bis 1910, sind keine Werke erhalten, sie können daher auch nicht gezeigt werden.

Begegnung mit der Moderne – Einfluss van Goghs

Im Jahr 1909 im Osthaus Museum in Hagen und drei Jahre später, 1912 auf der »Sonderbund«-Ausstellung in Köln, sieht Böckstiegel unter anderem Werke des Niederländischen Malers Vincent van Gogh. Insbesondere dieses muss ihn stark beeindruckt und zunehmend beeinflusst haben, vor allem in Bezug auf seine Landschaften, Stillleben und Porträts, »auch wenn der Ehrentitel ›westfälischer van Gogh‹ etwas zu pointiert ist«, so Riedel. Aber es ist richtig: »Böckstiegel geht künstlerisch in Westfalen voran, er schult sich an der europäischen Moderne, vor allem der französischen Kunst, und wie die Künstler der ›Brücke‹ in Dresden ist van Gogh für Böckstiegel und die anderen Bielefelder Künstler eine Identifikationsfigur und ein Idol«, so Riedel weiter. Sein Leben und Werk sind um diese Zeit im westfälischen Raum gut bekannt – die beeindruckende Van-Gogh-Ausstellung im Frankfurter Städel im Jahr 2019, in der einige Arbeiten Böckstiegels ausgestellt waren, hat es aufgezeigt. Damit gehört Böckstiegel zu den wichtigsten Vertretern der Moderne in Westfalen.

Einzigartige Auswahl der Werke

Die Ausstellung in Werther versammelt eine Großzahl an Arbeiten aus Privatbesitz, darunter etliche, die schon seit langer Zeit nicht mehr oder sogar noch nie öffentlich ausgestellt wurden. Einige der Werke kann man durchaus als Schlüsselwerke bezeichnen: So etwa das frühe und sehr sicher komponierte Ölgemälde »Der Vater« von 1910 aus der Bielefelder Kunsthalle, das ebenfalls in Öl auf Leinwand ausgeführte »Bauernmädchen« von 1912 aus dem Osthaus Museum Hagen, aber auch die grandiosen Landschaften von 1912 – in auffällig großen quadratischen Formaten gemalt – wie beispielsweise die »Mühle in Deppendorf« aus Privatbesitz. Aber es gibt auch weniger bekannte, kleinformatige Schätze, Arbeiten auf Papier, oder Gemälde, die man seit langer Zeit nicht sehen konnte: Weil sie aufwendig restauriert werden mussten, wie der »Rhein bei Linn« (1912) oder weil sie fast 30 Jahre als gestohlen galten, wie der »Westfälische Buchenwald« (ebenfalls 1912). Die Eigentümerin, die Deutsche Rentenversicherung, hat das Bild neu rahmen und restaurieren lassen – es wird von nun an als Dauerleihgabe im Museum zu sehen sein. »Dank sehr großzügiger Leihgeber und der großzügigen Unterstützung des P.-A.-Böckstiegel-Freundeskreises konnten auch Werke aus größerer Entfernung ins Museum geholt und nun präsentiert werden«, so Riedel.

»Arrode ist meine Akademie«

Mit diesem Zitat verdeutlichte Böckstiegel später den ungeheuerlichen Einfluss seiner bäuerlichen Herkunft auf sein künstlerisches Schaffen. Seine Arbeiten erzählen von seiner unerschütterlichen Liebe zur westfälischen Heimat und zu seiner Familie, sie zeigen sein landschaftliches Umfeld, die Menschen seiner nächsten Umgebung – aber sie erzählen eben auch von einem 20-jährigen Mann, der inmitten von wenig kunstsinnigen Bauern aufwuchs. Denen konnte Malerei nicht viel gelten, fast entschuldigend hat Böckstiegels »Tante König« erzählt, sein Talent stamme von einem begabten Onkel, der ihn bei der Taufe gehalten habe. David Riedel: »Jedes Gemälde und jedes Blatt ist also auch ein Aufbegehren gegen seine Umwelt, auch wenn die dem Berufswunsch des Sohns eigentlich positiv gegenüberstand.« Ein mithilfe von Manfred Beine, dem langjährigen Archivar der Stadt Rietberg, erarbeiteter Stammbaum der Familie Böckstiegel wird auch in der Ausstellung als großformatige Abbildung auf der Wand präsentiert. Viele offene Fragen bezüglich der Familie des Künstlers konnten dank intensiver Recherchen geklärt und nun präsentiert werden.

Freiheit der Farbe und Linie

Worin unterscheidet sich das frühe Werk gegenüber dem späten Werk Böckstiegels? »Gerade die Zeichnungen und Aquarelle haben eine fast unerhörte Freiheit in der Linie und Gestaltung«, so Riedel. Böckstiegel begegnet auch seinen Modellen wie Bauernkindern und seinen Familienmitgliedern ganz unverkrampft und stellt sie in expressiver Farbigkeit da. Diese Bilder müssen vor über 100 Jahren auf ersten Ausstellungen viel Furore gemacht haben, Böckstiegel galt früh als größtes Talent der Bielefelder Kunsthandwerkerschule. Da wundert es nicht, dass er voller Selbstbewusstsein im Wintersemester 1913 nach Dresden an die Königliche Kunstakademie ging, wo dann Arbeiten wie das bekannte »Selbstporträt« im Stil van Goghs entstehen. Dieser Schritt in die große sächsische Kunstmetropole war – im Gegensatz zu heute – ein großer Sprung in der Karriere, insbesondere für Böckstiegel. Aber weitere große »Brüche« in Böckstiegels Werk gibt es dennoch nicht. Vielmehr fasziniert, wie kontinuierlich er über seine gesamte Schaffenszeit hinweg an seinen Themen festgehalten hat.

Ein spätes Werk mit frühen Wurzeln

Auch das 1937 entstandene »Steinborn-Relief«, eine Auftragsarbeit für den Wertheraner Arzt Dr. Rudolph Steinborn, ist ein Beispiel für diese Feststellung. Das Relief war lange Jahre in dessen Haus eingebaut und zeigt das »Bauernleben«, heute befindet es sich in Privatbesitz in Süddeutschland und kehrte nach dieser Ausstellung wieder dorthin zurück. Böckstiegel widersetzte sich bei der Ausführung des Reliefs bewusst der Ideologie der Nationalsozialisten, die das Bild des Bauern für ihre eigene Propaganda nutzen wollten und es unter neue Vorzeichen stellten, indem er bewusst auf frühere, in den 1920er-Jahren entstandene Vorlagen zurückgreift. Herausgekommen ist dabei ein faszinierendes, vielschichtiges Werk, bestehend aus acht Tafeln aus rotem Ziegelton mit jeweils kleinen figürlichen Bauernmotiven und -szenen. In der Ausstellung wird es flankiert mit früh angelegten Arbeiten, die zu seiner Entstehung geführt haben.

11. Juli bis 26. Dezember 2021
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